Kampf gegen Parasiten in einem Konfliktgebiet

Maurice M. Nigo ist Direktor des Institut Supérieur des Techniques Médicales (ISTM) in Bunia, der Hauptstadt der Provinz Ituri, einer der ärmsten Provinzen der Demokratischen Republik Kongo (DRK). Seit den 1990er Jahren tobt in der Region ein bewaffneter Konflikt, der in den letzten Jahren weiter eskalierte und dazu führte, dass Hunderttausende Menschen von ihrem Zuhause flüchten mussten. Rebellen zerstören die Infrastruktur des Gesundheitswesens und der Zugang zu Nahrung und sauberem Trinkwasser ist für fast die gesamte Provinzbevölkerung zu einem Problem geworden. Unter diesen unvorstellbaren Bedingungen arbeitet Maurice Nigo Tag für Tag daran, die Gesundheit der Menschen zu verbessern. Er hat kürzlich seine Doktorarbeit am Universitätsspital Basel und am Swiss TPH abgeschlossen und spricht mit uns via Zoom über seine Arbeit und seine Hoffnungen für die Zukunft.

2023-11-29, 13:00 Uhr

(Interview und Englischer Original-Text: Sabina Beatrice, Swiss TPH. Deutsche Uebertragung: Patrick Hunziker, Unispital Basel)

 

Guten Morgen Maurice – kannst du dich kurz vorstellen? 

Mein Name ist Maurice, ich bin Direktor des Institut Supérieur des Techniques Médicales (ISTM) in Bunia, Kongo. Mein Hauptinteresse ist es, das Ausmass von Armutsbedingten Krankheiten wie die Bilharziose und andere parasitäre Wurmerkrankungen in meiner Provinz Ituri zu bekämpfen. Viele Menschen sind infiziert, aber die Daten sind oft ungenau. Ich wollte verstehen, wie hoch die Prävalenz wirklich ist und welche Auswirkungen dies auf die Gesundheit der Menschen hat. Deshalb habe ich zu diesem Thema am Universitätsspital Basel meinen Doktortitel in Medizinischen Wissenschaften erworben, um mit dem erworbenen Wissen zum Wohl meiner Heimat beizutragen. Mein Traum wäre es, wenn diese Krankheiten in den kommenden Jahren in der Provinz Ituri eliminiert werden könnten. 

 

Sie haben kürzlich zwei Artikel in PLOS Neglected Tropical Diseases über die Epidemiologie und Morbidität der Bilharziose im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo veröffentlicht. Können Sie uns die wichtigsten Ergebnisse nennen?

 

Unsere Ergebnisse zeigen, dass Schistosoma mansoni (Erreger von Bilharziose) in der Provinz Ituri endemisch ist: Bis zu  70%  der untersuchten Bevölkerung war infiziert. Besorgniserregend war auch, dass besonders Kinder und Jugendliche ein sehr hohes Infektionsniveau aufwiesen, also eine hohe Anzahl von Wurm-Eiern im Stuhl und mit zum Teil schweren klinischen Symptomen. Mehr als 40% der Bevölkerung hatte beispielsweise eine pathologische Veränderungen der Leber. Viele Gesundheitszentren berichten von Patienten, die durch das Erbrechen von Blut sterben.

 

Da 70% der Menschen infiziert sind, sollte gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO die gesamte Bevölkerung jährlich entwurmende Medikamente erhalten. Die Daten aus der offiziellen nationalen Statistik sind aber viel zu tief, weshalb derzeit nur für Kinder im schulpflichtigen Alter einmal alle drei Jahre eine Behandlungen vorgesehen ist – sofern diese die Kinder überhaupt erreicht werden.

 

Unsere Publikation erlaubt uns nun, mit Beamten auf Provinz- und nationaler Ebene zu verhandeln, damit die Anstrengungen zur Kontrolle von Bilharziose bald verstärkt werden.

 

Weltweit ist die Bilharziose in den letzten 20 Jahren erheblich zurückgegangen. Warum ist das in der Provinz Ituri nicht der Fall?

Da die offiziellen Statistiken selten Daten aus Konfliktgebieten enthalten, sind die globalen Zahlen mit einer gewissen Zurückhaltung zu interpretieren. Die Situation im Kongo im Allgemeinen und in der Provinz Ituri im Besonderen ist wegen der anhaltenden bewaffneten Konflikte sehr schwierig. Weil Reisen sehr gefährlich geworden ist, kann mehr als die Hälfte der Provinz im Moment gar nicht erreicht werden. Die Rebellen haben Krankenhäuser und Gesundheitszentren zerstört. Viele Aktivitäten im Gesundheitswesen wurden eingestellt. Von den etwa 20‘000 Menschen mit HIV/AIDS werden zurzeit viele nicht behandelt, und es treten deshalb auch wieder viele Neuinfektionen auf.

 

Abgesehen von den Sicherheitsbedenken gibt es noch ein weiteres grundlegendes Problem: nur 12  von 100 Personen  haben Zugang zu  sauberem Trinkwasser. Die Menschen sind gezwungen, Brunnen um ihre Häuser herum zu graben oder Wasser aus Flüssen und Teichen zu trinken – alles Hauptrisikofaktoren für Bilharziose und andere Krankheiten.

 

Können Sie uns mehr über die Arbeit im Gesundheitswesen in einem Konflikt-Gebiet erzählen? 

Aus der Ferne betrachtet kann man sich die Situation in unserer Provinz kaum vorstellen. Das schien auch so, als ich noch am Unispital Basel war, um zu promovieren. Am Tag meiner Rückkehr nach Ituri musste mein Flugzeug 600 km von Bunia entfernt landen, weil der Pilot informiert wurde, dass die Rebellen versuchten, unsere Stadt zu übernehmen. Wir erreichten Bunia schlussendlich doch, aber ich konnte die Stadt seither kaum verlassen: Die Rebellen kontrollieren die Ausfahrtswege aus der Stadt und stecken Fahrzeuge in Brand. Sie töten und bedrohen die Menschen in den umliegenden Dörfern. Der Handel in den Dörfern ist fast vollständig zum Erliegen gekommen: Die Bauern können sich nicht mehr um ihre Felder kümmern, ihre Tiere werden getötet oder gestohlen. Der Bevölkerung bleibt nichts anderes übrig als zu fliehen. In der Provinz Ituri mit 5,3 Millionen Einwohnern gibt es schätzungsweise 1,7 Millionen Vertriebene.

 

Die Bevölkerung in Bunia hat sich daher in den letzten Jahren verdreifacht, während die Gesundheitsinfrastruktur die Gleiche geblieben ist. Die Stadt ist zu einer Art Bunker geworden und das Leben ist sehr teuer. Viele Menschen sind gezwungen zu betteln, darunter schätzungsweise 15‘000 Kinder.

 

Gleichzeitig sind die gesundheitlichen Bedürfnisse immens! Als wir 2020 mit unseren Entwurmungsaktivitäten begannen, erhielten fast 5000 Menschen gratis Medikamente. 2021 war es unser Ziel, die Behandlung auf 10‘000 Menschen auszuweiten, ein Ziel, das wir noch nicht erreicht haben, da diese Aktivität von Tür zu Tür durchgeführt wird und es zu gefährlich war zu reisen und auch unsere finanziellen Möglichkeiten sehr beschränkt sind.

 

Unser Hauptziel ist es zurzeit, das Leben von Kindern zu retten, da viele von ihnen unterernährt und schwer krank sind. Sie brauchen eine sichere Umgebung. Wir müssen auch sicherstellen, dass sie Zugang zu Bildung haben. Sie brauchen Kleidung und Schuhe. Und sie sollten die Möglichkeit haben zu spielen. Oh, die Liste geht weiter und weiter! Aber irgendwo müssen wir anfangen….

 

Ist COVID-19 überhaupt ein Thema in diesem Umfeld?

Ja, es ist ein bisschen absurd, den Menschen zu sagen, sie sollen sich die Hände zu waschen, wenn es kein Wasser gibt. Die nationale Wassergesellschaft produziert immer noch die gleiche Menge Wasser wie im Jahr 1958, als sie von der belgischen Kolonialmacht für geschätzte 30‘000 Menschen gebaut wurde (heute hat Bunia 1,5 Millionen Einwohner). Nur reiche Leute in der Innenstadt haben Zugang zu diesem Wasser, die anderen verlassen sich auf handgebohrte Brunnen, Bäche, Flüsse und Seen.

 

Zu Beginn der Covid-19 Pandemie glaubten viele Menschen auch nicht, dass diese Krankheit real ist, bis im letzten Sommer plötzlich viele Menschen in kurzer Zeit starben. Mangels Diagnostik in Krankenhäusern und Gesundheitszentren bleiben die meisten Fälle unerkannt, besonders auf dem Land, wo die Mehrheit der Provinz-Bevölkerung lebt.  

 

Leider haben wir auch noch fast keinen Zugang zu dem Impfstoff: Im Kongo mit 90 Millionen Einwohnern erhielten bis zum 13. Januar 2022 nur 307‘000 Menschen ihre erste Dosis und etwa 160‘000 Menschen ihre zweite Dosis. In der Provinz Ituri haben wir kürzlich etwa 5000 Dosen erhalten und die Impfkampagne hat am 14. Dezember 2021 begonnen. 

 

Was erhoffen Sie sich von Bunia und der Provinz Ituri?

Mein Traum ist, dass unsere Kinder sicher aufwachsen können. Dass sie Zugang zu sauberem Wasser haben. Dass sie Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung haben. Und dass sie nicht unter so vielen gesundheitlichen Problemen leiden müssen.

 

Ich möchte in der Lage sein, mehr Menschen auszubilden und bei der Entwicklung von Ressourcen für eine bessere Gesundheitsversorgung zu helfen. 

 

Insbesondere möchte ich, dass die Prävalenz von Bilharziose erheblich abnimmt. Wir versuchen die Menschen in Bunia so gut wie möglich zu behandeln. Sobald es die Situation zulässt, wollen wir auch die Menschen in der gesamten Provinz behandeln und sensibilisieren.

 

Um diese Vision zu unterstützen, habe ich die CIRCUMFLEX Foundation gegründet (www.circumflex-foundation.org), die darauf abzielt, zur Linderung des Leidens der Menschen, sowohl auf dem Land als auch in der Stadt, durch die Verbesserung ihrer Ernährungs- und Sanitärbedingungen, der Trinkwasserversorgung und der Bildung beizutragen. Letztendlich wollen wir die Grundbedürfnisse der Menschen gewährleisten: Nahrung, Trinkwasser, Gesundheit, Bildung, Information und Sicherheit.

 

Unsere seit vielen Jahren etablierte und produktive Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital Basel und dem Swiss TPH erweist sich als sehr nützlich, um die unterschiedlichen Perspektiven bezüglich Armutserkrankungen zusammenzubringen und die Wissenschaft in die Praxis umzusetzen.   

 

Wenn Sie den Menschen in meiner Provinz helfen möchten, besuchen Sie bitte unsere Website der Stiftung und erfahren Sie, wie Sie sich engagieren können. Jede Art von Unterstützung wird von ganzem Herzen geschätzt.

 

Unsere Publikationen zur Schistosomiasis in der Provinz Ituri in PLOS Neglected Tropical Diseases: