Wo wenige Zellen einen Unterschied machen - Therapieansprechen bei Multipler Sklerose
Forschende des Departements Biomedizin von Universitätsspital Basel und Universität mit Kollegen der Universität Zürich und ETH Zürich haben das Ansprechen auf die Dimethylfumarat-Behandlung bei Multipler Sklerose (MS) untersucht. Sie konnten Fachblatt «PNAS» zeigen, dass für die therapeutische Wirkung vor allem ein kleiner Teil der Immunzellen, bestimmte krankheitstreibende T-Lymphozyten, relevant sind.
2023-11-29, 13:00 Uhr
Die Behandlung der MS wurde in den vergangenen Jahren revolutioniert. Mittlerweile sind fast 20 Wirkstoffe für die Behandlung zugelassen. Trotz dieser erfreulichen Entwicklung kann die Behandlung für MS-Patient*innen und Ihre Ärztinnen und Ärzte herausfordernd sein: Welches Medikament für die einzelnen Betroffenen wirksam ist, lässt sich oft nur durch die Beobachtung der klinischen Krankheitsaktivität erkennen. Ziel einer Zusammenarbeit im Rahmen der Swiss Personalized Health Initiative war es darum, im Blut von MS-Patient*innen immunologische Werte zu identifizieren, anhand derer eine Vorhersage gemacht werden kann, wie sie auf die Therapie ansprechen.
Die Forschungsgruppe entschloss sich, die Behandlung mit Dimethylfumarat (DMF) unter die Lupe zu nehmen. „DMF war der ideale Kandidat für unseren Ansatz: Ein kleiner Wirkstoff mit schlecht verstandenem Wirkmechanismus, der häufig bei MS eingesetzt wird,“ sagt Martin Diebold, einer der Autoren der Studie. Dass DMF überhaupt den Krankheitsverlauf der MS mildern kann, wurde durch zufällige Beobachtungen erkannt. Im Gegensatz zu anderen, im Labor entwickelten Medikamenten war darum bisher kein genauer Ansatzpunkt der Therapie bekannt. In Vorarbeiten hatten die Forschenden jedoch beobachtet, dass DMF und seine Abbauprodukte im Zitronensäurezyklus den Stoffwechsel von Immunzellen verändern.
Für das aktuelle Projekt sammelten die Forscherinnen und Forscher der Arbeitsgruppe von Prof. Tobias Derfuss Blutproben von MS-Patient*innen vor Therapiestart und zu mehreren Zeitpunkten unter der DMF-Therapie um die Krankheitsdynamik im Labor und in der Klinik zu vergleichen. Durch Anwendung einer neuen Methode, der sogenannten Massenzytometrie, konnten sie jede einzelne Immunzelle auf mehr als 50 Strukturen (beispielsweise Oberflächenmoleküle, Rezeptoren und Botenstoffe) untersuchen und so auch kleinste Untergruppen unterscheiden. Dabei zeigte sich zunächst, dass die Behandlung zu Veränderungen in fast allen Immunzellgruppen führt, von denen jedoch manche irrelevant oder sogar kontraproduktiv für die Therapie erschienen.
Zur weiteren Aufarbeitung entwickelten Bioinformatiker der ETH Zürich eine künstliche Intelligenz (Convolutional Neural Network), die im zeitlichen Verlauf der entnommenen Proben genau diejenigen Zellen identifizierte, die über das Therapieansprechen entscheiden. Es zeigte sich, dass eine kleine Gruppe von T-Zellen den Unterschied zwischen Therapieerfolg und Krankheitsdurchbruch ausmacht. Diese T-Zellen werden insbesondere durch entzündungstreibende Botenstoffe (z.B. GM-CSF und Interferon gamma) charakterisiert.
Diese T-Zellgruppe, die als Prognosemarker nun erstmals beschrieben wurde, ist in der MS-Forschung nicht vollkommen unbekannt: Frühere Arbeiten zeigten bereits, dass diese Zellen im Blut vieler Menschen mit MS vermehrt sind. In der aktuellen Forschungsarbeit wurde zudem eine Verbindung zu einem bekannten Risikogen für MS hergestellt und eine Korrelation mit der Schädigung von Nervenzellen erkannt. „Diese Studie gibt uns eine Idee, wie wir gezielt Therapien für bestimmte Patient*innen auswählen können – und, wie man gezieltere Wirkstoffe mit geringeren Nebenwirkungen entwickeln kann,“ kommentiert Tobias Derfuss, Leiter des Labors für Klinische Neuroimmunologie und der Neurologischen Poliklinik des Universitätsspitals, die Ergebnisse.
Originalarbeit
Martin Diebold, Edoardo Galli, Andreas Kopf, Nicholas S.R. Sanderson, Ilaria Callegari, Pascal Benkert, Nicolás Gonzalo Núñez, Florian Ingelfinger, Stefan Herms, Sven Cichon, Ludwig Kappos, Jens Kuhle, Burkhard Becher, Manfred Claassen, und Tobias Derfuss
High-dimensional immune profiling identifies a biomarker to monitor dimethyl fumarate response in multiple sclerosis
PNAS 2. August 2022 doi: doi.org/10.1073/pnas.2205042119