Universitäre Medizin unter erheblichem Druck – hochspezialisierte Versorgung darf nicht zu reinem Kostenfaktor werden
Die Universitätsspitäler und die medizinischen Fakultäten sind das unverzichtbare Rückgrat für eine qualitativ hochstehende Gesundheitsversorgung in der Schweiz. Sie bilden zudem die nächste Generation von Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegefachpersonen aus. Die finanzielle Situation der Universitätsspitäler ist extrem herausfordernd. Dazu kommt ein hoher Investitionsdruck – in bauliche Infrastrukturen, aber auch in die Digitalisierung und das Personal. Diese Investitionen sind notwendig, die Finanzierung ist aber nicht sichergestellt. Damit wird die Tarifpartnerschaft ausgehöhlt und der Druck lastet auf den Universitätsspitälern und ihren Mitarbeitenden. Die finanzielle Situation wird sich zuspitzen – leidtragend ist nicht zuletzt die Bevölkerung.
2024-11-14, 11:15 Uhr
An der heutigen Medienkonferenz am Inselspital Bern haben Vertreterinnen und Vertreter der fünf Universitätsspitäler und der medizinischen Fakultäten die zentrale Rolle ihrer Institutionen als tragende Säule der Schweizer Gesundheitsversorgung sowie als Forschungsstätten und Ausbildungsinstitutionen betont. Diese Rolle ist zurzeit massiv unter Druck: An den Universitätsspitälern wird auf höchstem Niveau medizinische Versorgung, Innovation, Forschung und Nachhaltigkeit betrieben, doch ohne stabile finanzielle Aussichten droht die hochspezialisierte Versorgung zu einem reinen Kostenfaktor zu werden.
Die Universitätsspitäler stehen insbesondere auch vor bedeutenden Investitionen: einerseits in zukunftsgerichtete digitale und bauliche Infrastrukturen, andererseits in Anpassungen von Arbeitsbedingungen. Nicht nur die Gebäudeinfrastruktur, sondern auch die digitale Infrastruktur ist zentral für die effiziente Erbringung von Gesundheitsleistungen – in verschiedenen Vorstössen auf kantonaler wie nationaler Ebene wird genau dies gefordert.
Diese Investitionen sind notwendig, sie werden aber in den Tarifen nicht abgebildet. Damit lastet der Druck auf den Universitätsspitälern und vor allem auf dem Personal.
Grosse Bedeutung der Universitätsspitäler in Forschung und Innovation
Mit ihren Forschungs-, Lehr- und Innovationstätigkeit sorgen die Universitätsspitäler dafür, dass kranken Menschen nachhaltig und immer besser geholfen werden kann. 2023 bestanden 1142 Forschungsgruppen an den fünf Universitätsspitälern, die sich in über 2'500 klinischen Studien engagierten. Zudem wurden 2023 insgesamt 103 Patente angemeldet. Mit dieser Arbeit werden die Grundlagen für die Medizin der Zukunft geschaffen.
Die Universitätsspitäler und die medizinischen Fakultäten sind die Hauptlieferanten von klinischen Forschungsdaten in digitaler Form. Diese nicht zu unterschätzende Aufgabe benötigt Ressourcen, unter anderem für den Aufbau von Kapazitäten in der Dateninfrastruktur. Die Universitätsspitäler und die medizinischen Fakultäten sind sich einig, dass das Teilen von Forschungsdaten auf nationaler Ebene für die Weiterentwicklung der klinischen Forschung und das Programm Offene Forschungsdaten (ORD) von entscheidender Bedeutung sind. Langfristig sollen Gesundheits- und Pflegedaten im elektronischen Patientendossier zusammengeführt werden.
Antoine Geissbühler, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Genf und Direktor Lehre und Forschung am Universitätsspital Genf (HUG), betont nachdrücklich: «Ohne die Forschung, die in unseren Institutionen geleistet wird, gäbe es keinen medizinischen Fortschritt. Es muss weiterhin attraktiv sein, Forschung zu betreiben – dies schaffen wir, indem wir die richtigen Rahmenbedingungen festlegen».
Universitätsspitäler sind wichtige Ausbildungsstätten für Gesundheitsberufe
Die Universitätsspitäler bilden die nächste Generation von Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegefachpersonen aus. 2023 wurden an den Universitätsspitälern 964 Masterdiplome in Medizin abgeschlossen. In den nächsten 20 Jahren wird der Bedarf an medizinischem Personal weiter zunehmen. Die Universitätsspitäler werden einen grossen Beitrag an die Ausbildung dieser Fachpersonen leisten. Zahlreiche Spezialisierungen und Weiterbildungen sind vor allem an den Universitätsspitälern angesiedelt. Es gilt, die Attraktivität als Ausbildungsstätten weiter hochzuhalten und die Universitätsspitäler in ihrer Aus- und Weiterbildungstätigkeit aktiv zu unterstützen.
Betreffend die zweite Etappe zur Umsetzung der Pflegeinitiative stellen die Universitätsspitäler fest, dass durch die Vorlage die Qualität und Weiterentwicklung der Pflege gestärkt werden soll – für die Spitäler wirft die Finanzierbarkeit aber noch grosse existentielle Fragen auf.
Versorgung: Nachhaltige Finanzierung muss dringend sichergestellt werden
Die finanzielle Situation der Universitätsspitäler ist weiterhin herausfordernd. Im Jahr 2023 haben alle Universitätsspitäler ein negatives Jahresergebnis geschrieben (2022: CHF 200 Mio., 2023: CHF 210 Mio.). Verantwortlich dafür sind teuerungs- und lohnbedingte Mehrkosten sowie eine nach wie vor angespannte Tarifsituation, welche es nicht erlaubt, die teuerungsbedingten Mehrkosten zu decken. Die Universitätsspitäler haben im Sommer 2023 aus diesem Grund die stationären Tarifverträge mit den Versicherern gekündigt und konnten bessere Tarife aushandeln. Die Situation bleibt aber angespannt und droht, regulatorisch besonders für die Unispitäler weiter verschärft zu werden. In den stationären Tarifen muss aber die spezifische Kostenstruktur der Unispitäler berücksichtigt bleiben, sonst beginnt das Gesundheitssystem der Schweiz ausgerechnet an der Spitze zu erodieren.
Im ambulanten Bereich, der eine immer grössere Rolle spielt, ist die Situation noch alarmierender: Die Tarife sind nicht kostendeckend und wurden seit zwanzig Jahren nicht angepasst. Sollen die Universitätsspitäler den Erwartungen der Bevölkerung an ambulante Behandlungen und Vorhalteleistungen nachkommen, braucht es eine rasche Erhöhung der Tarife. Nur so kann ausserdem sichergestellt werden, dass die Tarifpartnerschaft nicht ausgehöhlt wird.
Ausblick: Die Universitätsspitäler in zehn Jahren
In zehn Jahren werden die Universitätsspitäler einen Grossteil der Investitionen getätigt haben und finanziell stabil sein. Sie wollen attraktive Arbeitgeber sein, weiterhin Fachpersonal aus- und weiterbilden und auch international wettbewerbsfähig sein. Zudem möchten sie bis dann neue Ansätze und Zusammenarbeitsmodelle (insbesondere bezüglich der Datenübermittlung) in der Leistungserbringung und der Forschung umsetzen, ebenso wird es bis dahin neue Versorgungs- und Arbeitsmodelle brauchen.
Werner Kübler, Direktor des Universitätsspitals Basel und Präsident von unimedsuisse, betont: «Damit dies realisiert werden kann, sind die Universitätsspitäler auf eine korrekte Finanzierung und Tarifierung ihrer Leistungen angewiesen. Sie benötigen entsprechende Rahmenbedingungen, damit sie ihre zentrale Aufgabe in der Aus- und Weiterbildung wahrnehmen können. Insbesondere braucht es klare Spitalstrategien auf nationaler und kantonaler Ebene.»
Die Referierenden an der Medienkonferenz waren:
- Dr. Werner Kübler, Präsident Universitäre Medizin Schweiz, Spitaldirektor des Universitätsspitals Basel (USB)
- Prof. Antoine Geissbühler, vice-président Médecine Universitaire Suisse, doyen de la faculté de médicine de Genève et directeur enseignement et recherche aux hôpitaux universitaires de Genève (HUG)
- Prof. Nicolas Demartines, Directeur général du centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV)
- Dr. Monika Jänicke, CEO des Universitätsspitals Zürich (USZ)
- Prof. Bernhard Pulver, Verwaltungsratspräsident, Delegierter des Verwaltungsrates a.i., Insel Gruppe AG
- Dr. Paula Adomeit, Direktorin Pflege, Insel Gruppe AG
- Robert Mardini, directeur général des hôpitaux universitaires de Genève (HUG)
Kontakt für Fragen:
Sandra Laubscher
Geschäftsführerin Universitäre Medizin Schweiz
sandra.laubscher@unimedsuisse.ch
Tel. +41 31 306 93 85
Zum Verband Universitäre Medizin Schweiz (unimedsuisse)
Der Verband Universitäre Medizin Schweiz (unimedsuisse) vereint die Universitätsspitäler Basel, Bern, Genf, Lausanne und Zürich und die fünf Medizinischen Fakultäten der Schweiz. Er dient als Anlaufstelle für Fragen der universitären Medizin auf nationaler Ebene.