Prostatakrebsfrüherkennung – Die wichtigsten Aspekte zusammengefasst
2023-11-01, 08:00 Uhr
Prostatakrebs ist die am zweithäufigsten diagnostizierte Krebserkrankung bei Männern, mit geschätzten 1,4 Millionen Diagnosen weltweit im Jahr 2020. In Europa und der Schweiz ist Prostatakrebs sogar die häufigste Krebsart (höhere Inzidenz durch Früherkennung). Pro Jahr wird die Diagnose bei etwa 6400 schweizerischen Männern gestellt; rund 1300 Männer in der Schweiz versterben am Prostatakrebs pro Jahr, wobei die Mortalität in den letzten zwei Jahrzenten zurückgegangen ist. Somit ist aktuell etwa einer von sechs Männern in der Schweiz betroffen, und einer von sechs betroffenen Männern verstirbt am Prostatakrebs.
Risikofaktoren und Screeningempfehlung
Betroffene sind vor allem Männer über dem 50. Lebensjahr mit einem Erkrankungsgipfel um das 70. Lebensjahr (Abbildung 1). Risikofaktoren für Prostatakrebs sind somit das Alter, aber auch eine familiäre Belastung, genetische Faktoren und Übergewicht. Die höhere relative Häufigkeit (Inzidenz) von Prostatakrebs in westlichen Ländern, wie der Schweiz, erklärt sich mehrheitlich durch die Durchführung von Früherkennungsmassnahmen.
Im Dezember 2022 hat der Rat der Europäischen Union (EU) seine Empfehlungen zur Krebsvorsorge nach einem Vorschlag der Europäischen Kommission aktualisiert. Es wurde die Absicht bekannt gegeben, das gezielte Krebsscreening über Brust-, Darm-, und Gebärmutterhalskrebs hinaus auf Prostatakrebs auszuweiten. Die Empfehlung fordert die Mitgliedsstaaten auf, die Durchführbarkeit und Wirksamkeit von organisierten Screening-Programmen für Prostatakrebs zu untersuchen. Diese politische Entscheidung unterstreicht die Wichtigkeit von Früherkennungsmassnahmen beim Prostatakarzinom.
Abbildung 1
Früherkennungsmassnahmen
Die Europäische Gesellschaft für Urologie (EAU) empfiehlt in ihrer Leitlinie für den gut informierten Mann, mit einer Lebenserwartung von mindestens 10 bis 15 Jahren, eine individualisierte, risikoangepasste Strategie zur Prostatakrebsfrüherkennung nach vorheriger Aufklärung über die Vorteile und Risiken der Früherkennungsmassnahmen. Damit ist u.a. die Bestimmung des Prostata-Spezifischen-Antigens (PSA) im Blut gemeint, bei Männern ab dem 50. Lebensjahr, beziehungsweise bei Männern ab dem 45. Lebensjahr bei familiärer Belastung (mütterlicher oder väterlicher Seite), und bei afrikanischer Abstammung und bereits ab dem 40. Lebensjahr bei Männern mit nachgewiesener Mutation im BRCA2 (BReast CAncer 2) Gen. Zusätzlich wird eine digital-rektale Abtastung der Prostata empfohlen, wobei der Tastbefund nicht ausreichend ist, um ein Prostatakarzinom auszuschliessen.
Zur Aufklärung des Mannes über den Nutzen und die Risiken einer PSA-gestützten Prostatakrebsfrüherkennung gehört u.a. die Information über die Möglichkeit einer sogenannten Überdiagnostik. Dies wäre etwa die Durchführung einer diagnostischen Massnahme, wie z.B. eine Biopsie der Prostata, ohne Nachweis eines (behandlungsbedürftigen) Krebs oder eine Übertherapie (Krebstherapie, z.B. radikale Prostataentfernung oder Bestrahlung der Prostata, hat keinen Nutzen für das Überleben, d.h. mit oder ohne Therapie lebt der Patient gleich lange). Zusätzlich sollten in diesem Zusammenhang bereits die Risiken von diagnostischen und therapeutischen Massnahmen beim Patienten angesprochen werden.
Kontinuierliche Verbesserung der Prostatakrebsfrüherkennung
Populationsbasiertes Prostatakrebsscreening bleibt aufgrund von Überdiagnostik und Übertherapie kontrovers diskutiert. Nichtsdestotrotz zeigen die Daten der methodisch gut durchgeführten Europäischen Prostatakrebsscreening-Studie (European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC)) eine um 29% niedrigere Mortalität im Screeningarm. Dennoch wird dieser Nutzen durch die erwähnte Überdiagnostik und Übertherapie erzielt. Das bedeutet, dass den aktuellen Daten nach (Stand 2019) 570 Männer über den PSA-Wert gescreent (Überdiagnostik) und 18 Männer am diagnostizierten Prostatakrebs therapiert werden (Übertherapie), um durch diese Maßnahmen einen Prostatakrebstot zu verhindern. Dies wiederum bedeutet nicht, dass die Maßnahmen für den einzelnen nicht sinnvoll sein können, es bedarf allerdings einer noch besseren Selektion des diagnostik- und behandlungsbedürftigen Patienten.
Die Medizin ist sich dieses Umstandes bewusst, weshalb kontinuierlich Anstrengungen unternommen werden, um die Prostatakrebsvorsorge so zu gestalten, dass vornehmlich Männer mit einem relevanten Prostatakrebsrisiko detektiert und schließlich therapiert werden. So können vor der Indikationsstellung zur Prostatabiopsie sogenannte Risiko-Kalkulatoren herangezogen werden, welche zusätzlich zum PSA-Wert und zum Tastbefund der Prostata unterschiedliche Risikofaktoren berücksichtigen. Solche Faktoren können in weiteren Bluttests, wie z.B. dem Stockholm3-Test, oder durch eine Magnetresonanztomographie (MRT) der Prostata, eruiert werden. So kann die Integration der MRT in das Biopsieprotokoll die Zahl der Männer, die sich einer Biopsie unterziehen müssen, verringern und gleichzeitig mehr klinisch bedeutsame und weniger klinisch unbedeutende Prostatakarzinome entdecken.
Der Stockholm3-Test
Der besonders vielversprechende Stockholm3-Test kombiniert Proteinbiomarker, genetische Marker und klinische Daten in einem Algorithmus zur Erkennung von aggressivem Prostatakrebs im Frühstadium. Er spürt dadurch doppelt so viele Fälle von aggressivem Prostatakrebs auf wie das alleinige Screening mit PSA. Der Stockholm3-Test wurde, wie der Name impliziert, in Stockholm am schwedischen Karolinska Institut entwickelt.
Der Bluttest, bestehend aus zwei Blut-Röhrchen, untersucht fünf Proteinbiomarker und 232 genetische Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs). Dies sind Variationen in der DNA-Sequenz des Menschen, die an bestimmten Positionen innerhalb eines Genoms auftreten. SNPs sind die häufigste Art von genetischen Variationen bei Menschen und zeigen Assoziationen mit dem Auftreten bestimmter Krankheiten.
Der Vorteil des Stockholm3-Tests ist, dass er mit nur sehr wenigen klinischen Parametern (Alter, Familienanamnese für Prostatakarzinom, vorherige unauffällige Prostatabiopsie, Einnahme eines 5-alpha-Reduktasehemmer), welche ohne fachärztliches Zutun bestimmbar sind, eine sehr präzise Angabe zum Risiko für das Vorliegen eines relevanten (signifikanten) Prostatakrebses machen kann.
Der Test wurde in zwei grossen populationsbasierten Studien in Schweden mit PSA verglichen. Bemerkenswerterweise wurden eine relevante Anzahl signifikanter Karzinome im unteren PSA-Bereich von 1.5 bis 3.0 µg/l gefunden. Je nach ausgewähltem Grenzwert (11% oder 15%) kann mittels Einsatzes des Stockholm3-Tests bei Männern mit einem PSA-Wert von über 1.5 µg/l die Anzahl der sonst notwendigen MRTs fast halbiert oder die Detektion der signifikanten (relevanten) Karzinome um 20% erhöht werden – und dies ohne jegliche urologische Beurteilung oder Abklärung vor der Bildgebung. Aufgrund der populationsspezifischen Heterogenität der SNPs wurde der Test 2022 in einer multizentrischen Validierungsstudie in der Schweiz untersucht; er zeigte eine erhaltene Performance auch ausserhalb von Skandinavien in einer mitteleuropäischen Population.
Leider werden nicht alle vielversprechenden Massnahmen zur Verbesserung der Früherkennung von Prostatakrebs von den Krankenkassen erstattet, dazu zählt aktuell auch der Stockholm3-Test.
Die Urologie am Universitätsspital bietet ein umfassendes Spektrum an individuellen Prostatakrebs-Früherkennungsmassnahmen an und orientiert sich dabei am aktuellen Stand der Wissenschaft. Wir informieren Sie gerne vollumfänglich in einem persönlichen Beratungsgespräch.